Reiserücktritt bei Impfunverträglichkeit

Oberlandesgerichts Karlsruhe, Urteil vom 16. 5. 2013 (Az: 12 U 184/12)

Zusammenfassung

Ein Versicherter muss bei einer bestehenden Allergie nicht auf eine Impfunverträglichkeit schließen: Von einer Hühnereiweißallergie muss er nicht auf die  Unverträglichkeit einer Gelbfieberimpfung schließen. Eine Impfunverträglichkeit gilt nur dann als Ausschluss, wenn sie dem Versicherten bereits bei Vertragsschluss bekannt war oder damit gerechnet werden musste.

1. Ausgangslage

Ein Ehepaar buchte eine Reise nach Peru, Bolivien und Chile und schloss eine Reiserücktrittsversicherung ab. In den Bedingungen heißt es: Versichert sind die Kosten, die anfallen, wenn Sie Ihre Reise aufgrund eines versicherten Ereignisses nicht antreten können. Zu den versicherten Ereignissen zählen u. a. unerwartete schwere Erkrankung, schwere Unfallverletzung, Schwangerschaft, Impfunverträglichkeit. Es besteht u. a. kein Versicherungsschutz für Ereignisse, mit denen zur Zeit des Vertragsabschlusses oder der Reisebuchung zu rechnen war.
Bezüglich des Impfschutzes ließ sich das Ehepaar durch ein Institut für Tropenmedizin medizinisch beraten. Es stellte sich heraus, dass die erforderliche Gelbfieberimpfung wegen einer bestehenden Hühnereiweißallergie bei der Ehefrau nicht ratsam sei. Deshalb trat das Ehepaar von der geplanten Reise zurück. Die Versicherung lehnte die Übernahme der Stornokosten mit der Begründung ab, dass im vorliegenden Fall kein Versicherungsschutz bestehe.
Zwar sei Impfunverträglichkeit in den Versicherungsbedingungen als möglicher Versicherungsfall genannt, aber nur, wenn sie „unerwartet“ sei. Die Allergie sei aber schon vorher bekannt gewesen, somit handele es sich nicht um ein unerwartetes Ereignis.

2. Die Klage

Das Ehepaar machte die Übernahme der Stornokosten durch eine abgeschlossene Reiserücktrittskostenversicherung geltend. Das Landgericht lehnte die Klage zunächst ab.

3. Das Urteil

In der Berufung gab das Oberlandesgericht Karlsruhe dem Versicherten Recht. Das Ehepaar hat Anspruch auf Versicherungsleistungen, da ein bedingungsgemäßer Versicherungsfall eingetreten ist.

4. Die Begründung

Das vereinbarte Versicherungsereignis "Impfunverträglichkeit" liegt vor. Es kommt nicht auf eine "unerwartete Impfunverträglichkeit" an. Der Zusatz "unerwartet" ist auf Erkrankungen beschränkt, die dem Versicherungsnehmer nicht bekannt sind. Als erwartet gilt eine Erkrankung nicht allein deshalb, weil sie dem Versicherten hätte bekannt sein können oder müssen.
Der Versicherungsfall tritt ein, wenn eine für das Reiseland vorgeschriebene oder ärztlich angeratene Impfung die Reise ausschließt. Dabei ist es egal, ob die Impfung erst gar nicht durchgeführt wird, oder ob die Reaktionen auf eine Impfung folgt. Es spielt keine Rolle, wann die Impfunverträglichkeit eintritt: Sie kann und wird auch meist schon vorher bestanden haben.
Die Impfunverträglichkeit gilt nur dann als Ausschluss, wenn sie dem Versicherten bereits bei Versicherungsvertragsschluss bekannt oder damit gerechnet werden musste. Das Gericht stellte fest, dass die vertragliche Ausschlussklausel nicht greift, denn das Ehepaar musste trotz der Hühnereiweißallergie nicht von einer Impfunverträglichkeit ausgehen. Zu berücksichtigen ist zwar, dass die Versicherten als Ärzte (Orthopäde bzw. Zahnärztin) praktizieren. Damit mögen sie in der Lage sein, sich auch medizinische Sachverhalte, die außerhalb ihres Tätigkeitsbereichs fallen, durch Lektüre anzueignen. Keineswegs zu erwarten ist jedoch, dass sie Detailwissen auch in fremden medizinischen Bereichen haben. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie die Herstellungsweise bzw. die Inhaltsstoffe von Impfseren kennen oder sich diesbezüglich erkundigen. Auch wenn der Mann von seiner Allergie beim Abschluss der Versicherung wusste, war er nicht dazu verpflichtet, sich in der medizinischen Fachliteratur über die Zusammensetzung des Gelbfieberimpfstoffs kundig zu machen.

Alle Entscheidungen dienen der Information und stellen keine Rechtsberatung dar. Die Darstellung der Gerichtsurteile erfolgt ohne Gewährleistung, Ansprüche können daraus nicht abgeleitet werden.

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